G he NT M a N I fest o! Milo Rau

Zehn Thesen für ein Theater des 21. Jahrhunderts

1. Es geht nicht mehr nur darum, die Welt darzustellen. Es geht darum, sie zu verändern. Nicht die Darstellung des Realen ist das Ziel, sondern dass die Darstellung selbst real wird.

2. Theater ist kein Produkt, es ist ein Produktionsvorgang. Recherche, Castings, Proben und damit verbundene Debatten müssen öffentlich zugänglich sein.

3. Die Autorschaft liegt vollumfänglich bei den an den Proben und der Vorstellung Beteiligten, was auch immer ihre Funktion sein mag – und bei niemandem sonst.

4. Die wörtliche Adaption von Klassikern auf der Bühne ist verboten. Wenn zu Probenbeginn ein Text – ob Buch, Film oder Theaterstück – vorliegt, darf dieser maximal 20 Prozent der Vorstellungsdauer ausmachen.

5. Mindestens ein Viertel der Probenzeit muss außerhalb eines Theaterraums stattfinden. Als Theaterraum gilt jeder Raum, in dem jemals ein Stück geprobt oder aufgeführt worden ist.

6. In jeder Produktion müssen auf der Bühne mindestens zwei verschiedene Sprachen gesprochen werden.

7. Mindestens zwei der Darsteller, die auf der Bühne zu sehen sind, dürfen keine professionellen Schauspieler sein. Tiere zählen nicht, sind aber willkommen.

8. Das Gesamtvolumen des Bühnenbilds darf 20 Kubikmeter nicht überschreiten, das heißt eines Lieferwagens, der mit einem normalen Führerschein gefahren werden kann.

9. Mindestens eine Produktion pro Saison muss in einem Krisen- oder Kriegsgebiet ohne kulturelle Infrastruktur geprobt oder aufgeführt werden.

10. Jede Inszenierung muss an mindestens 10 Orten in mindestens 3 Ländern gezeigt werden. Vor Erfüllung dieser Zahl darf keine Produktion aus dem Repertoire ausscheiden.